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„100 Jahre abstrakte Malerei und ihre Vermittlung“

Von Prof. Dr. Andreas Brenne

 

Am Mittwoch, den 13. März 2013 hielt Prof. Dr. Andreas Brenne ein Impulsreferat bei der Veranstaltung „Kunst Forum 100 Jahre abstrakte Malerei“ im Osnabrücker Kunst-Quartier.

Dabei ging er sowohl inhaltlich auf die Entwicklung abstrakter Malerei als auch auf die Vermittlungsschwierigkeiten von Kunst ein und zog den Bogen zum kunstpädagogischen Vermittlungprogramm im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kunst für eine andere Gesellschaft. Vordemberge-Gildewart. 50 Jahre danach“.

 

Freundlicherweise hat er uns seinen Vortrag in schriftlicher Form zur Verfügung gestellt:

 

Andreas Brenne

"100 Jahre abstrakte Malerei und ihre Vermittlung"


Vor 100 Jahren – so  Mythos und Selbstzeugnis – soll der russische Maler und Expressionist Vassily Kandinsky das erste abstrakte Bildes der Moderne erstellt haben.

Kandinsky schrieb über sich selbst: „Ich habe als erster mit der Tradition gebrochen, zu malen, was wirklich existiert. Der Begründer der abstrakten Malerei. – das bin ich.[1]

Dieses kleine Aquarell ist keine singuläre Erscheinung und auch nicht das Produkt eines einsamen Genies. Seine Entstehung fällt in eine Zeit, in der die Avantgarde sich formierte und sukzessive artikulierte, um schließlich gesellschaftlich relevant zu werden. wurde.  Diese Strömung, die wir heute klassische Moderne nennen, zählte gleichzeitig  keineswegs zum Mainstream, sondern wurde in subversiven und radikal auftretenden Künstlerzirkeln entwickelt. Hier wurden Utopien beschworen, hier wurde dem Fortschritt gehuldigt und  der Tradition gänzlich abgeschworen, notfalls mit Gewalt. So schrieb der Wiener Architekt Adolf Loos:

„Traurig gingen die Menschen dann zwischen den Vitrinen umher und schämten sich ihrer Impotenz. Jede Zeit hatte ihren Stil, und nur unserer Zeit soll ein Stil versagt bleiben? Mit Stil meinte man das Ornament. Da sagte ich: Weinet nicht! Seht, das macht ja die Größe unserer Zeit aus, daß sie nicht imstande ist, ein neues Ornament hervorzubringen. Wir haben das Ornament überwunden, wir haben uns zur Ornamentslosigkeit durchgerungen. Seht, die Zeit ist nahe, die Erfüllung erwartet unser. Bald werden die Straßen der Städte wie weiße Mauern glänzen. Wie Zion, die heilige Stadt, die Hauptstadt des Himmels. Dann ist die Erfüllung da.[...]“ (Adolf Los, Ornament und Verbrechen)[2]

Diese Abkehr vom Ornament, vom Symbolischen, von der Narration führte sukzessive in die reine  Abstraktion. Unterschiedliche Künstlergruppen (Fauves, Expressionisten, Futuristen, Kubisten...) aber auch Solitäre wie Cezanne bereiteten diese Entwicklung vor, bis sie im neuen  Sowjetrussland zu einer ersten Blüte kam. Hier wurde eine Künstler-Avantgarde von einer politischen Avantgarde instruiert , eine kulturelle Transformation voranzutreiben – und das ohne Korrektiv. Die Künstler hatten Narrenfreiheit und stellten nicht nur Bilder im neuen Stil her – z.B. die Null Ikone von Malevitsch aus dem Jahre 1915 –, sondern suchten in Design, Architektur und Mode die gesamte neue Welt zu entwerfen und  zu gestalten.

Spätestens 1930 war mit der Schließung der Wchutemas – der staatlichen Moskauer Kunsthochschule, die sich der Avantgarde verschrieben hatte -  dann alles vorbei und der sozialistische Realismus wurde Doktrin.

Doch auch anderswo in Europa wurde diese Tendenzen aufgegriffen und in Kunst-, Design- und Architekturschulen und -gruppierungen wie dem Bauhaus und De Stijl weitergeführt . Auch hier ging es nie um bloße Ästhetik, sondern um das Utopische, das Neue und Unverdorbene. Um die gute Gestalt, um eine neue Kunst, aber auch um die  radikale Abkehr von der Tradition.

Walter Benjamin fasste diese Entwicklung 1933 zusammen, benannte  die Ursachen und nannte Namen.

„(...) Nein, soviel ist klar: die Erfahrung ist im Kurse gefallen und das in einer Generation, die 1914-1918 eine der ungeheuersten Erfahrungen der Weltgeschichte gemacht hat. (...) Eine Generation, die noch mit der Pferdebahn zur Schule gefahren war, stand unter freiem Himmel in einer Landschaft, in der nichts unverändert geblieben war als die Wolken, und in der Mitte, in einem Kraftfeld zerstörender Ströme und Explosionen, der winzige gebrechliche Menschenkörper. (...)Denn wohin bringt die Armut an Erfahrung den (neuen) Barbaren? Sie bringt ihn dahin, von vorn zu beginnen; von Neuem anzufangen; mit Wenigem auszukommen; aus Wenigem heraus zu konstruieren und dabei weder rechts noch links zu blicken. (...)Auch Einstein war ein solcher Konstrukteur, den plötzlich von der ganzen weiten Welt der Physik gar nichts mehr interessierte, als eine einzige kleine Unstimmigkeit zwischen den Gleichungen Newtons und den Erfahrungen der Astronomie. Und dieses selbe Vonvornbeginnen hatten die Künstler im Auge, als sie sich an die Mathematiker hielten und die Welt wie die Kubisten aus stereometrischen Formen aufbauten, oder als sie wie Klee sich an Ingenieure anlehnten. Denn Klees Figuren sind gleichsam auf dem Reißbrett entworfen und gehorchen, wie ein gutes Auto auch in der Karosserie vor allem den Notwendigkeiten des Motors, so im Ausdruck ihrer Mienen vor allem dem Innern. Dem Innern mehr als der Innerlichkeit: das macht sie barbarisch.“[3]

Die Abstraktion in der Kunst ist demnach Ausdruck einer spezifischen Haltung, die nach der Erfahrung des Scheiterns eine Utopie zu verwirklichen sucht. Es ging  um die Arbeit am „neuen Bau(s) der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei.“[4] (Walter Gropius: Bauhausmanifest)

Doch das Utopische birgt auch das Totalitäre in sich.

Der französiche Marxist und Philosoph Alain Badiou deckte in seiner Schrift „Das Jahrhundert“ aus dem Jahre 2006 diesen Zusammenhang auf und goss ihn in eine radikale These: „Der archimedische Punkt des 20. Jahrhunderts ist die eigentümliche Passion des Realen und die pathetische Überzeugung, im Augenblick des Beginns zu leben. Die Endlösung der Nazis trägt letztlich die gleiche Handschrift wie der "Ikonoklasmus der künstlerischen Avantgarden".[5] Das muss man natürlich nicht teilen, dennoch stellt sich auch im Rahmen der Kunstvermittlung die Frage, ob nicht auch die Kritik an der Doktrin der „guten Form“ Teil der Auseinandersetzung sein muss.

Auch die Nachfolger der abstrakten Bewegung in den USA betonten das Neue und den Fortschritt sowie den Bruch mit der Tradition (Abstrakter Expressionismus, Hard Edge, Colourfield Painting) und wollten Bilder schaffen, die sich nicht in die Tradition einordnen lassen. „Wir schaffen Bilder, deren Realität selbstverständlich ist und die ohne Stützen und Krücken oder Assoziationen mit veralteten Bildern, erhabenen oder schönen, auskommen. (...) Anstatt Kathedralen aus Christus, dem Menschen oder dem Leben zu machen, schaffen wir Bilder aus uns selbst und aus unseren eigenen Gefühlen.“[6] (Barnett Newman, 1948 – 1998, S. 701).

Das hat Potential, macht aber auch nachdenklich.


Im Folgenden möchte ich einige aktuelle Beispiele der Vermittlung abstrakter bzw. konkreter Kunst vorstellen, die anlässlich des VG-Jahres Anfang des Jahres an Osnabrücker Schulen durchgeführt wurden. Konkret stellten sich hier folgende Fragen:

- Bedeutet Vermittlung die bloße Bereitstellungen von kunsthistorischen Fakten? Sind nicht Fakten  immer schon eingebunden in Deutungen und Interpretationen?

- Konzentriere ich mich auf das bloß Formal-Gestalterische oder geht es um das Inhaltlich-Utopische?

- Betreibe ich Affirmation oder geht es auch um die Vermittlung einer kritischen Haltung gegenüber der Kunstgeschichte?

- Hat die Konkrete Kunst ihren  Sitz im Leben und/oder wie kann eine historische Kunstrichtung für heutige SchülerInnen relevant werden?

 

„Wer ist Vordemberge-Gildewart?“ – Vermittlung Konkreter Kunst an Osnabrücker Schulen

Am 19. Dezember 2012 jährte sich zum fünfzigsten Mal der Todestag des Osnabrücker Künstlers Friedrich Vordemberge-Gildewart, dessen Werk im Spannungsfeld von Konstruktivismus und Konkreter Kunst angesiedelt ist. Anlässlich des zu diesem Anlass ausgerufenen VG-Jahres erprobten Studierende der Kunstpädagogik der Universität Osnabrück eine produktive und lebensweltbezogene Auseinandersetzung mit dem Osnabrücker Künstler an hiesigen Schulen, wobei spezielle Programme für die unterschiedlichen Schulstufen entwickelt wurden. Beteiligte Partner waren Prof. Dr. Bärbel Schmidt (Fachgebiet Textilgestaltung/Uni Osnabrück), Ralf Langer (Museumspädagogischer Dienst), Anke Bramlage (Kulturamt der Stadt Osnabrück), Bertin Strothjohann und Simone Niemeyer (KunstlehrerInnen an der Ursula-Schule) sowie  Martin Steyer (Lehrer an der Grundschule Dodesheide).

Die schulische Vermittlung war zunächst kein leichtes Unterfangen, da es sich um eine Kunstrichtung handelt, die sich gleichsam programmatisch referentiellen Zuweisungen entzieht. Insofern wurden unterschiedliche und altersbezogene Zugänge gewählt.

Das Grundschulprojekt hatte insofern seinen Sitz im Leben der Kinder, als dass die spielerische Auseinandersetzung mit Formen und Farben nicht nur Inhalt des Geometrieunterrichts ist, sondern Kinder dieser Altersstufe ein prinzipielles Interesse an der Interaktion mit dem Besonderen und Auffälligen haben. Die konkrete Auseinandersetzung mit der Formensprache der „modernen“ Kunst ist insofern fester Bestandteil der kindlichen Lebenswelt. Im Laufe des Projekts entwickelten die Kinder konstruktivistische Formationen, die in Form von T-Shirt- Druck in ein benutzbares Artefakt transformiert wurden.

In der Mittelstufe stand die handwerkliche Auseinandersetzung mit der Machart konkreter Kunst im Zentrum des Geschehens. Im Rahmen einer Kunstwerkstatt hatten die Kinder die Möglichkeit, konstruktivistisch Kompositionen in die Medien Linolschnitt, Collage und großformatige Malerei zu übersetzen. Dem Drang zum jugendlichen Realismus wurde performativ entgegengearbeitet, ohne sich im Formalen zu verlieren.

Die SchülerInnen der Oberstufe setzten sich zunächst in Bezugnahme auf Architektur, Design und natürliche Umwelt mit der künstlerischen Formensprache der Konkreten Kunst auseinander und entwickeln in Gruppenarbeit eigene Bildideen. Dabei ging es zum einen um das Spannungsverhältnis von Form und Farbe, aber auch um die Möglichkeiten der Transformation dieser Formen in den öffentlichen (Schul-)Raum. Im Folgenden entwickelten die SchülerInnen raumbezogene Installationen im Modell und planten die großformatige Realisation. Abschließend wurden die Arbeiten in Originalgröße realisiert und im Schulraum installiert.

Am  12.05.  um 14:00 Uhr sollen nun die Projektergebnisse in den Räumen der Museumspädagogischen Werkstatt des Felix-Nußbaum-Hauses (Akzisehaus) öffentlich präsentiert werden. Die Arbeiten der SchülerInnen sind nicht nur ein Zeichen dafür, dass die Konkrete/Konstruktive Kunst immer noch Impulse für kunstpädagogische Auseinandersetzungen bieten kann, sondern sind auch Beleg für die nachhaltige Wirksamkeit einer modernen Formensprache. Doch diese Formensprache erschließt sich nicht ohne selbsttätige Produktion und Reflexion.



[1] Vgl. Peter A. Riedl (1983): Kandinsky, Wassilij: In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg

[2] Loos, Adolf (2000): Ornament und Verbrechen. Nachdruck. Wien.

[3] Vgl. Benjamin, Walter (2003): Erfahrung und Armut. In: Kimmich, Oorothee / Renner, Rolf Günther / Stiegler, Bernd (Hg): Texte zur Literaturtheorie der Gegenwart. Stuttgart. S. 122 - 128

[4] Bushart, Magdalena: am Anfang ein Missverständnis. Feiningers „Kathedrale“ und das Bauhaus-Manifest, in: Bauhaus-Archiv Berlin, Stiftung Bauhaus Dessau, Klassik Stiftung Weimar (Hg.): Modell Bauhaus, Ostfildern 2009, S. 29 – 32.

[5] Badiou, Alain (2006): Das Jahrhundert. Übersetzt von Heinz Jatho, Zürich-Berlin.

[6] Newman, Barnett (1998): Das Erhabene jetzt, in: Charles Harrison und Paul Wood (Hg.): Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Stuttgart, S. 701.